Engel
Religionsgeschichtlich und biblisch
Kirchlicher Engelglaube
Engel in der modernen Esoterik
Kritik und Fazit
Religionsgeschichtlich und biblisch
Nahezu alle Religionen kennen Wesen, die zwischen göttlichem und irdischem Bereich stehen bzw. vermitteln oder mit unerklärlichen Erlebnissen in Verbindung gebracht werden. Auch der biblische (jüdisch-christliche) und muslimische Engelglaube knüpft an altorientalische Vorstellungen an. So finden sich schon in Mesopotamien Cherubim als Götterbeisassen oder im altpersischen Zoroastrismus offenbarungsvermittelnde Manifestationsgottheiten, Schutzengel und Engelshierarchien.
In der Bibel kommen Engel zwar an ca. 300 Stellen (ca. 120 im AT und 180 im NT) vor, doch nur drei werden namentlich genannt: Michael („Wer ist wie Gott“), Gabriel („Mann Gottes“) und Rafael („Gott heilt“). Die Hauptaufgabe der Engel im biblischen Kontext erschließt sich bereits aus der Bezeichnung, denn sowohl „mal’ak“(hebräisch) als auch „ángelos“ (griechisch, davon lateinisch „angelus“ und dt. „Engel“) bedeuten „Gesandter“ oder „Bote“. Ihr Aussehen wird zwar zumeist als menschenähnlich beschrieben, durch ihr Verhalten, ihr Wissen und ihre Botschaft erweisen sie sich aber als „übermenschliche“ Boten Gottes. Ihr überraschendes Erscheinen (und Verschwinden) löst nicht selten Furcht aus.
Eine Besonderheit stellt der „Engel des HERRN“ (mal’ak JHWH) dar. Seine Gegenwart wird als Gegenwart Gottes empfunden, er spricht, wie nur Gott selbst sprechen kann, sein Wirken ist vom direkten Wirken Gottes nicht unterscheidbar (z.B. bei der Opferung des Isaak in Gen 22, beim brennenden Dornbusch Ex 3, in der Bileams-Erzählung Num 22-24 etc.).
Aber auch Schutz und Begleitung gehören zu den Aufgaben von Engeln. So begegnet uns im Buch Tobit Rafael als Reisebegleiter, Heiler und als einer der „sieben Engel, die bereitstehen und hineingehen vor die Herrlichkeit des Herrn“ (Tob 12,15). Die Vorstellung (persönlicher) Schutzengel klingt auch in Psalm 91 an: „Denn er befiehlt seinen Engeln, dich zu behüten auf all deinen Wegen …“ (Ps 91,11f).
Ebenfalls von der Umwelt beeinflusst fand zunehmend auch das Motiv des Herrschers Eingang in biblische Gottesbilder, was zur Vorstellung eines Gott umgebenden, „himmlischen Hofstaates“ führte. So bringen in der Thronvision in Jes 6 Serafim Gott beständig ihr Lob dar. Die „Entrückung“ Gottes bedingt auch eine Mittlerfunktion der Engel, wie sie etwa im Bild der Jakobsleiter (Gen 28) zum Ausdruck kommt. Gelegentlich treten auch Engelwesen auf, die Gestirne und Naturvorgänge steuern, geschichtliche Abläufe und menschliches Handeln beeinflussen.
Das NT kennt die zeitgenössischen Engelsvorstellungen. Paulus bzw. die paulinischen Briefe begegnen wegen der überragenden Stellung Jesu Engeln mit Zurückhaltung (z.B. Röm 8,38) bzw. lehnen – wohl gegen gnostische Engelsoffenbarungen – deren kultische Verehrung ab (z.B. Kol 2,18). Diese Ansicht begegnet uns auch in der Johannesapokalypse (Offb 19,10; 22,8 f). Dennoch sind auch hier Engel mit dem Gotteslob, der Überbringung von Botschaften Gottes und der Ausführung seiner Pläne betraut. Bei den „Engeln“ der sieben kleinasiatischen Gemeinden (Offb 2) könnte es sich aber auch um GemeindeleiterInnen handeln.
In den Evangelien begegnen uns Engel an bedeutsamen Stellen: Gabriel kündigt die Geburten Jesu und Johannes‘ des Täufers an (Lk 1-2); ein Engel des Herrn erscheint Josef im Traum (Mt 1); Engel dienen Jesus nach den vierzig Tagen in der Wüste (Mt 2 par.) oder stärken ihn am Ölberg (Lk 22); Engel verkündigen den Frauen die Auferstehung Jesu (Mk 16 par.). In der Apostelgeschichte stehen sie den Aposteln (besonders Petrus und Paulus) in Gefahren bei (z.B. Gefängnis in Apg 5 und 12, Schiffbruch in Apg 27).
Zusammenfassend lässt sich feststellen: Die Bibel kennt keine systematische theologische Reflexion über Engel. Diese sind keine göttlichen Wesen, sondern stets Teil der Schöpfung und stehen im Dienst Gottes bzw. Jesu.
Kirchlicher Engelglaube
Die biblische „Nüchternheit“ bezüglich der Engel wird in apokryphen Schriften in der Zeit von etwa 200 vor bis 200 nach Christus konterkariert. Neben Jenseitsvisionen und dem Erzengel Uriel finden sich zahlreiche weitere Namen und Hierarchien von Engeln und Details über deren Herkunft. Diese Vorstellungen werden z.T. zwar in der Volksfrömmigkeit rezipiert, haben aber kaum Auswirkungen auf Theologie und kirchliches Lehramt.
Die wohl bekannteste (und u.a. auch von Thomas von Aquin aufgegriffene) Engels-Systematik stammt aus dem Werk „Über die himmlischen Hierarchien“ eines als „Pseudo-Dionysius Areopagita“ bezeichneten Autors des 6. Jh. n. Chr. Unter Verwendung biblischer Begriffe gliedert er die Engel absteigend (d.h. nach ihrer unmittelbaren Gottesnähe) in drei mal drei Hierarchien oder Chöre: Seraphim, Cherubim, Throne; Herrschaften, Kräfte, Mächte; Fürstentümer, Erzengel, Engel.
Der Kirchenlehrer Augustinus (354-430 n.Chr.) stellt vor allem den göttlichen Boten- und Dienstauftrag der Engel in den Vordergrund, wenn er schreibt: „‘Engel‘ bezeichnet das Amt, nicht die Natur. Fragst du nach seiner Natur, so ist er ein Geist; fragst du nach dem Amt, so ist er ein Engel: seinem Wesen nach ist er ein Geist, seinem Handeln nach ein Engel.“ (vgl. KKK 329)
In der Dogmatik werden die Engel in der Regel nicht gesondert, sondern zumeist im Rahmen der Schöpfungslehre thematisiert. Auch das kirchliche Lehramt formuliert keine systematische dogmatische Lehre, die die Engel als solche zum Inhalt hat. Sie finden zumeist in der Auseinandersetzung mit abweichenden Lehren (z.B. neuplatonische Emanationslehre, gnostischer Dualismus, Materialismus) Erwähnung. Der in diesem Zusammenhang bedeutsamste Text wurde auf dem IV. Laterankonzil (1215) formuliert. Er greift das Bekenntnis des Konzils von Nizäa (325) zum einen Schöpfer der sichtbaren und der unsichtbaren Welt auf und entfaltet es: Gott „[…] schuf am Anfang der Zeit aus nichts zugleich beide Schöpfungen, die geistige und die körperliche, nämlich die der Engel und die der Welt, und danach die menschliche, die gewissermaßen zugleich aus Geist und Körper besteht […]“ (DH 800).
Halten die Reformatoren im Großen und Ganzen am traditionellen Engelglauben fest, so werden im Gefolge der Aufklärung die Engel zunehmend „arbeitslos“, was auch in der liberalen evangelischen Theologie seinen Niederschlag findet. So führt die Abkehr von antiken mythischen Weltbildern (z.B. Rudolf Bultmann, 1884-1976) zur Reduktion der Engel – auch was ihre Existenz anbelangt – auf ihren göttlichen Auftrag (z.B. Claus Westermann, 1909-2000).
Welche Position auch immer vertreten wird: Engel - ob als geistige Geschöpfe oder symbolische Vermittlung göttlichen Handelns - sind im christlichen Kontext ihrem Auftrag untergeordnet und nicht „heilsnotwendig“.
Nicht näher ausgeführt sei an dieser Stelle die Vielfalt der Engelsdarstellungen im Verlauf der christlichen Kunstgeschichte, die einerseits Theologie und Frömmigkeit der Entstehungszeit widerspiegeln, andererseits natürlich Glaubensvorstellungen und -praxis der BetrachterInnen beeinflussten. Der Bogen spannt sich von Engelschören und Erzengeln in mittelalterlichen Fresken über die schier unglaubliche Zahl sog. Putti, d.h. Kinderengeln, die uns als - oftmals musizierender - „himmlischer Hofstaat“ (s.o.) in barocken Kirchenräumen begegnen, bis hin zu den Schutzengeln auf Andachts- und Schlafzimmerbildern, wie sie seit den 1880er-Jahren populär wurden und deren, oft als kitschig empfundene, Bildsprache im Kontext der modernen Esoterik (s.u.) wieder aufgegriffen wird.
Engel in der modernen Esoterik
Seit einigen Jahren ist eine zunehmende Kommerzialisierung von Engelvorstellungen feststellbar, so etwa in Form von Ratgeberliteratur und Zeitschriften, Foren und Shops im Internet, auf Esoterikmessen oder speziellen Engeltagen und -kongressen, sowie in den Angeboten einzelner DienstleisterInnen. Die Praktiken und Produkte, die großteils der modernen Esoterik zugeordnet werden können, sind vielfältig:
So sollen verschiedene Engelkartensets – ähnlich wie Tarotkarten – helfen, die eigene Situation zu klären und die Zukunft zu deuten, die Selbsterkenntnis fördern und Kontakt zur „inneren Führung“ herstellen, Zugang zu den „Engel-Energien“ ermöglichen und der Meditation und inneren Heilung dienen oder auch die Engel-Sensitivität von Kindern unterstützen. Dass einzelnen Engeln unterschiedliche Eigenschaften und Funktionen bzw. Zuständigkeiten für Lebenssituationen zugeschrieben werden, zeigt sich auch an „Engel-Essenzen“, d.h. z.T. eingefärbten und parfümierten Alkohol-Wasser-Gemischen oder Ölen, und Schmuckstücken (z.B. Anhänger, Bernstein-Armbänder) verschiedener Hersteller, die mit den Energien dieser Engel aufgeladen sein sollen und Harmonisierung, Reinigung, Schutz, Lebensfreude, Gelassenheit, Stärke u.a. oder Unterstützung in der Trauer, bei Partnerschaftsproblemen, in der Schwangerschaft etc. versprechen. Spirituelle BeraterInnen und sog. „Engel-LehrerInnen“ leiten zur meditativen Visualisierung von Engeln (häufig des persönlichen Schutzengels) und ebenfalls zur Aktivierung ihrer Energien an. Lebenshilfe, Impulse für die spirituelle Entwicklung, Beratung und bisweilen sogar Heilung versprechen mediale Durchgaben höherer Bewusstheiten, wie z.B. „aufgestiegener Meister“ oder eben Engelwesenheiten beim sog. „Channeling“ (von engl. „channel“ – „Kanal“). Zum einen treten Medien mit dem Anspruch besonderer Sensitivität auf, zum anderen halten einige AnbieterInnen diese Fähigkeit für erlernbar.
Auch wenn im gegenwärtigen „Engelboom“ bekannte Engelnamen und –motive (z.B. Schutzengel) aufgegriffen werden und damit eine gewisse Kontinuität zu biblisch-christlichen Vorstellungen suggeriert wird, zeigen sich doch wesentliche Unterschiede, die schon im pantheistischen Gottes- und Weltbild der Esoterik grundgelegt sind: Das „Göttliche“ wird als identisch mit dem Kosmos und alles durchwaltende, unpersönliche „Energie“ verstanden. Es gibt also keinen transzendenten und personalen Gott und keine Unterscheidung zwischen Schöpfer und Schöpfung. Entsprechend sind auch die Engel keine Geschöpfe, sondern Wesen auf einer höheren „Schwingungsebene“, die sich ihrer ursprünglichen Einheit mit dem Göttlichen bewusst sind. Während sie - biblisch-christlich gesprochen - als Boten Gottes stets in seinem Auftrag handeln, lassen sich im esoterischen Kontext Engel vom Menschen herbeiwünschen oder –meditieren.
Kritik und Fazit
In der modernen Esoterik werden Engel in unterschiedlicher Weise verstanden: als Symbole für Seelenzustände, als persönlicher Schutz und Begleiter, als Naturgeister, Lichtwesen oder lebendige kosmische Energiefelder, als Übergangs- und Begleitwesen im Zusammenhang mit Nahtoderfahrungen, als Medien für Kontakte zum Jenseits oder einem höheren Bewusstsein. Sie verheißen eine direkte, unmittelbare Erfahrung des Göttlichen, sie sollen Liebe, Geborgenheit und Heilung schenken und höheres Wissen vermitteln und damit im umfassenden Sinn Lebenshilfe bieten. Mag auch manches davon christlich klingen, so sind diese Engel keine Vermittler der Heiligkeit und Souveränität Gottes mehr, die auch unbequeme Botschaften überbringen und mit ihrem Erscheinen Furcht auslösen können. In ihrer geradezu magischen Verfügbarkeit werden sie vielmehr zum Symbol menschlicher Autonomie und zur Projektionsfläche eigener Wunschvorstellungen. Das wird vor allem dann problematisch, wenn - den Gesetzmäßigkeiten des Marktes und der Kreativität von Menschen folgend - zunehmend Angebote mit fragwürdigem Anspruch auftauchen. Wo etwa die „Autorität“ gechannelter Engelbotschaften weitreichende Lebensentscheidungen (Partnerschaft, Beruf, Gesundheit …) bestimmt und nicht hinterfragt werden kann, besteht - neben möglichen Gesundheitsrisiken - die Gefahr von Abhängigkeit von bzw. Manipulation durch selbsternannte „Medien“, von Realitätsverlust und Entfremdung vom sozialen Umfeld.
Die Suche nach Sinn und Erfüllung ist stets Ausdruck tief empfundener Bedürfnisse und Sehnsüchte. Deshalb sind „alternative“ weltanschauliche und spirituelle Strömungen eine
Herausforderung an die Kirchen, Suchenden tragfähige christliche Antworten anzubieten. So könnte etwa die auch in der modernen Esoterik verbreitete Vorstellung von Schutzengeln auf einen personalen, liebenden Gott hin geöffnet werden, dessen Zuwendung und Beistand sie als seine Geschöpfe vermitteln.
Literatur
Referat für Weltanschauungsfragen (Hg.), Engel. Göttliche Boten in Theologie und Esoterik (WELTANSCHAUUNGEN – Texte zur religiösen Vielfalt Nr. 99), Wien 2012; J. Hafner / H. Gasper, Engel, in: J. Sinabell u.a. (Hg.): Lexikon neureligiöser Bewegungen, esoterischer Gruppen und alternativer Lebenshilfen, Freiburg im Breisgau 2009; T. Ruster, Die neue Engelreligion. Lichtgestalten – dunkle Mächte, Kevelaer 2010; O. Dürr, Der Himmel ist wieder offen. Über die Logik der Bedürfnisse in der neuen Engelreligion, in: Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (Hg.), Materialdienst 12/2010 (73. Jg.), Berlin 2010, 461-466; W. Beinert, Engel – Theologische Informationen, in: Bischöfliches Seelsorgeamt Augsburg, Fachbereich für Religions- und Weltanschauungsfragen (Hg.), Materialdienst 2007-1, Augsburg 2007, downloadbar unter: https://bistum-augsburg.de/content/download/70669/file/Engel%20-%20theologische%20Informationen%20-%20Materialdienst%202007-1.pdf (Abrufdatum: 21.04.2020).
KKK: Katechismus der Katholischen Kirche, 2005 DH: P. Hünermann / H. Denzinger (Hg), Enchiridion Symbolorum, definitionem et declarationum. Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Entscheidungen, Freiburg/Br. 392001
Lambert Jaschke, 2020