Channeling
Historische Wurzeln
Channeling heute
Stellungnahme
Channeling ist eine aus dem englischen Wort channel (Kanal, Leitung) stammende Bezeichnung, für einen Vorgang, bei dem eine Person (Channel-Medium, Channel oder Channeler) Informationen von einer vom Bewusstsein des Mediums getrennten Quelle erhält, die einem nicht weiter bestimmbaren Bewusstseinsraum oder einer anderen Dimension angehört. Notwendigerweise gehören die Elemente Wesenheit (Sender), Botschaft und Medium (Empfänger) zu einem Channel-Vorgang.
Historische Wurzeln
Religionsphänomenologisch betrachtet, ist Channeling ein bekanntes Phänomen. Schon die Seher, Schamanen und die antiken Orakelmedien vermittelten durch unterschiedliche Techniken zwischen der unsichtbaren Geisterwelt und der sichtbaren Welt. Auch empfingen die biblischen Propheten in Visionen und Auditionen göttliche Botschaften.
Das heutige Channeling ist nicht in einem ganz bestimmten Augenblick entstanden, sondern nimmt Ideen, Lehren oder Formen auf, die in der Welt der Neuoffenbarungen des 18. und 19. Jh., des Spiritismus, der Theosophie und der UFO-Kontaktbewegung bereits vorhanden sind. Formal spielte sicher der Spiritismus eine große Rolle für das spätere Channeling. Mit der Entwicklung leicht erlernbarer Techniken, durch die man mit dem Jenseits in Kontakt kommen konnte, kam es zu einem „Demokratisierungsprozess“ im Spiritismus. Um mit dem Jenseits in Kontakt zu kommen, wurde für die Propheten und Seher das aufwendige Studium geheimer Schriften der Schamanen und Magier sowie die Lebensübergabe an Gott überflüssig. Inhaltlich ist sicherlich der Fortschrittsgedanke, wie wir ihn in der Theosophie und in der aus ihr resultierenden New Age-Bewegung finden, für das Channeling prägend gewesen.
Channeling heute
Seit den 1970er-Jahren erfreut sich Channeling in den USA einer wachsenden Popularität. Die Schauspielerin Shirley MacLaine bekannte sich öffentlich zum Channeling und trug mit ihren Büchern ebenso zur Verbreitung des Channelings bei wie die Bücher von Jane Roberts (Gespräche mit Seth) oder Helen Schucman (Ein Kurs in Wundern). In den 80er-Jahren erfasste das Phänomen auch den deutschsprachigen Raum. 1988 fand im bayrischen Murnau die »Erste internationale Konferenz weltbekannter Channelingmedien« statt und wenige Monate später die 2. Konferenz in Garmisch-Partenkirchen. Heute macht Channeling
mit seinen Publikationen einen großen Bereich des Esoterikbuchmarktes aus. Neben den oben genannten Büchern sind es v. a. die Veröffentlichungen von Neal Donald Walsch (Gespräche mit Gott), Lee Carroll (Kryon) und J. Z. Knight (Ramtha), die heute die Bestsellerlisten beherrschen.
Zu den gechannelten Wesenheiten gehören Gott bzw. Götter, das kollektive Unbewusste, der universale Geist, Jesus und andere aufgestiegene kosmische Meister (Wesenheiten, die ihre Entwicklung und damit auch ihre Inkarnationen abgeschlossen haben), das höhere Selbst einer lebenden Person (Überbewusstsein in der feinstofflichen Welt), nichtmenschliche Wesenheiten (Engel, Devas, Naturgeister) und Außerirdische. Eine untergeordnete Rolle im Channeling spielt die Kontaktaufnahme zu Geistern Verstorbener.
Die Botschaften behandeln neben Sinnfragen auch Fragen der konkreten Lebensbewältigung. Sie geben konkrete Handlungsanweisungen in einer hochtechnisierten und in ihrer Unüberschaubarkeit bedrohlich empfundenen Welt. Weiterhin befassen sie sich auch mit religiösen Fragen nach Anfang und Ende der menschlichen Existenz und des Kosmos und der Seinsweise Gottes. Dabei ist das Verständnis von Mensch, Welt und Gott sowohl monistisch (Alleinheit des Universums) als auch evolutionistisch geprägt: Der Mensch versteht sich als einer, der selbst Gott ist, von ihm ausgeht und sich durch wiederholte Reinkarnationen wieder zu ihm entwickelt.
Empfänger der Botschaften sind meistens Einzelpersonen. Manchmal wird die gleiche Wesenheit von verschiedenen Medien gechannelt (Kryon). Vielfach werden diese Botschaften publiziert. Um einige dieser Medien (Kryon/Lee Carroll; Seth/Jane Roberts) sind Lesekreise entstanden, die über das Internet oder durch Konferenzen weltweite Netzwerke bilden. Darüber hinaus gibt es aber auch Gemeinschaften mit einem höheren Organisationsgrad (»Kurs in Wundern«; Findhorn-Gemeinschaft; UFO-Gruppen; »Aufgestiegene Meister«-Gruppen). Eine Entwicklung von einem losen Verbund von Studienkreisen zu einer weltweit und hierarchisch strukturierten Bewegung können wir zurzeit bei den Gruppen um N. D. Walsch (Gespräche mit Gott) beobachten. Walsch gründete 2003 die sog. humanity teams, die die Aufgaben haben, die bestehenden Religionen und Gesellschaften, Urheber von Ungerechtigkeit, Hass und Krieg in der Welt, zu verändern.
Channeling nimmt auch einen führenden Platz auf dem Markt der esoterischen Seminar- und Lebenshilfeanbieter ein. Das Angebot umfasst Channeling-Beratungen zu allen Lebensthemen und Kurse zum Erlernen der Channel-Techniken. Die Beratung kann auch über Telefon oder Internet in Anspruch genommen werden.
Stellungnahme
Die Channel-Medien bzw. deren Texte bieten heute vielen religiös Suchenden Antworten auf ihre Sinnfragen. Gleichzeitig bieten sie auch Orientierung und Lebenshilfe in den großen und kleinen Lebensentscheidungen und der Unüberschaubarkeit einer globalisierten Welt, die selbst an ihre ökologischen, ökonomischen und sozialen Grenzen gekommen ist. Channeling ist somit auch Ausdruck eines spirituellen Heilsverlangens des Menschen in der heutigen Zeit.
Fragwürdig ist die Haltung vieler Channeler, dass ihre Erleuchtung oder Intuition sie davon befreie, in einen philosophisch-wissenschaftlichen Diskurs einzutreten. Gerade im Bereich der Lebenshilfe auf medizinisches, psychologisches oder pädagogisches Fachwissen zu verzichten und nur mit der Autorität einer jenseitigen, wissenden Quelle sprechen zu wollen, ist gefährlich. Dies zeigen die Ernährungsvorschriften des australischen Channel-Mediums Ellen Greve alias Jasmuheen (Lichtnahrungsprozess: die Vorstellung, sich nur von Licht ernähren zu können), aber auch die Erklärungsversuche Lee Carrolls (Kryon) zu medizinisch-psychologischen Themen (Indigo- bzw. Kristallkinder).
Sicherlich können »Offenbarungserlebnisse « weder theologisch (Privatoffenbarungen) noch psychologisch ausgeschlossen werden. Einer Behauptung Glauben zu schenken, jemand habe von einem übernatürlichen Wesen eine Botschaft erhalten, wenn es für diese weder Zeugen noch Zeugnis gibt, ist zumindest dann problematisch, wenn die Psychologie fundierte Erklärungen für diese Phänomene anbietet. Sie kennt sog. »Automatismen« oder »Dissoziationen«, d. h. ein unbewusstes Denken, Empfinden oder Tun, das eigenständig und neben dem bewussten abläuft.
Channel-Erlebnisse können demnach in der psychologischen Erklärung abgespaltene Weisen des Bewusstseins sein. In Seminaren zum Erlernen des Channelings bzw. in der Channeling-Beratung handelt es sich um ein aktives, selbst induziertes Herbeiführen von Erlebnissen, die als Kontaktnahme mit übernatürlichen Wesen verstanden werden. Dieses Herbeiführen geschieht durch Entspannungsübungen, Visualisierung oder Tagträumen. Psychologisch gesehen kommt es bei diesen Übungen zu einer Rücknahme der »Ich-Aktivität« des Channelers. Die Botschaften, Gedanken, Bilder und Vorstellungen, die dem Medium beim Channeling kommen, brauchen nicht als aus einer nichtphysischen, fremden Quelle stammend gedeutet werden, sondern können auch aus dem eigenen Bewusstsein stammen.
Literatur
B. Grom, Hoffnungsträger Esoterik?, Regensburg 2002;
B. Grom, Offenbarungserlebnisse - Channeling: Religionspsychologische Perspektiven, in: M. Pöhlmann (Hg.), „Ich habe euch noch viel zu sagen …“, EZW-Texte 169, Berlin 2003;
R. Hempelmann et al. (Hg.), Panorama der neuen Religiosität, Gütersloh 2002;
M. Introvigne, Channeling – ein moderner Spiritismus? Werkmappe 55, Wien 1990;
J. Klimo, Channeling, Freiburg 1988;
M. Pöhlmann, Kommunikation mit dem Göttlichen?, in: Materialdienst der EZW 63/2000, S. 339–354;
S. Riordan, Art. Channeling, in: J.G. Melton (Hg.), New Age Encyclopedia, Detroit 1990, S. 97–104.
Stefan Lorger-Raufwolf, 2015