Spiritismus
Begriff
Geschichte
Heutiger Spiritismus
Spiritistische Praktiken
Deutungen der Phänomene beim Spiritismus
Stellungnahme
Begriff
Der Begriff Spiritismus (lat. spiritus „Geist“) bezeichnet die angeblich durch bestimmte Praktiken mögliche Kontaktaufnahme mit Geistern Verstorbener oder auch mit anderen Geistwesen, etwa Engeln, Dämonen oder Naturgeistern. Viele Menschen halten derartiges für möglich, und bei den spiritistischen Praktiken auftretende oft recht eindrucksvolle Phänomene scheinen diese Annahme zu stützen, die so zur festen Überzeugung werden kann. Eine solche spiritistische Weltanschauung kann mehr oder weniger religiöse Züge tragen und sich bis zur spiritistischen Religion entwickeln.
Neben diesem Gebrauch des Wortes Spiritismus zur Bezeichnung praktizierter Geisterbeschwörungen und -kontakte und den daraus folgenden weltanschaulichen bzw. religiösen Optionen begegnen wir dem Begriff auch in der Parapsychologie. Hier wird er als Hypothese in dem Sinn verstanden, dass bestimmte Phänomene zu ihrer Erklärung das Wirken von Geistern Verstorbener nahelegen würden. Diese Hypothese wird von heutigen Parapsychologen allerdings kaum mehr vertreten. Sie habe, da nicht verifizier- oder falsifizierbar, in der Wissenschaft keinen Platz.
Geschichte
Als Entstehungsjahr des modernen Spiritismus gilt das Jahr 1848, als die Schwestern Margaretta und Catherine Fox (damals 14 und 12 Jahre alt) und ihre Eltern in ihrem Haus in Hydesville, New York seltsame Klopfgeräusche hörten. Die Familie entdeckte, dass diese Klopfzeichen sinnvoll auf Fragen antworteten. Wenn man z.B. vorgab, es solle zweimal klopfen, falls eine bestimmte Frage mit Ja zu beantworten sei, und es blieb stumm, dann bedeutete das Nein; mit der Zeit entwickelte sich ein differenziertes Zeichensystem. Als angebliche Ursache des Klopfens stellte sich der Geist eines ermordeten und im Keller begrabenen Hausierers vor. Die Geschehnisse erregten großes Aufsehen, die Mädchen demonstrierten ähnliche und andere auffällige Phänomene vor einer wachsenden Öffentlichkeit und präsentierten sich als „Medien“, als Vermittler von Kontakten zu Geistern Verstorbener. Andere Medien folgten ihrem Beispiel, und innerhalb weniger Jahre wurde der Spiritismus zu einer Massenbewegung, die sich auch in Europa schnell ausbreitete. Man entdeckte im Zuge der Entwicklung auch bequemere Weisen, auf die sich die „Geister“ bemerkbar machen konnten: etwa das „automatische Schreiben“, bei dem sie die Hand der Medien führten, oder Reden in Trance, zu dem sie die Medien inspirierten. Es gab Phänomene wie Levitationen (Emporgehobenwerden von Gegenständen oder Personen), von selbst spielende Musikinstrumente, und schließlich auch „Materialisationen“, die Ausbildung von Körperteilen und ganzen Gestalten aus einem angeblich von den Medien ausgeschiedenen Stoff, Ektoplasma genannt.
Die spiritistische Bewegung knüpfte an in dieser Zeit bereits verbreitete Ideen und Praktiken an, so etwa an die Kosmologie des trotz seiner irreal-fantastischen Visionen tatsächlich hellseherisch begabten Emanuel Swedenborg (1688-1772) und an Elemente des „animalischen Magnetismus“ von Franz Anton Mesmer (1734-1815) . Letzterer versetzte Menschen in den „magnetischen Schlaf“. Dabei handelte es sich einerseits um das, was später Hypnose genannt wurde, anderseits manchmal aber auch um einen Trance-Zustand, in dem sich außergewöhnliche Vorgänge ereignen konnten, die die Parapsychologie später als telepathisch oder hellseherisch deutete; damals verstand man sie als Offenbarungen von Geistwesen. Auf dem Hintergrund dieser Strömungen veröffentlichte bereits 1847, also ein Jahr vor dem Beginn der Ereignisse in Hydesville, der US-Amerikaner Andrew J. Davis (1826-1910) ein in Trance diktiertes theoretische Werk zum Spiritismus.
Wichtiger und bis heute intensiv wirksam ist der Franzose Allan Kardec (eigentlich Hippolyte Léon Denizard Rivail; 1804-1969). Er kam 1855 in Kontakt mit dem Spiritismus und ließ sich davon überzeugen. Selbst ohne mediumistische Erfahrungen wurde er über Medien von „Geistern“ angesprochen und empfing von ihnen seine „Mission“ als „Sprecher der Toten“ und auch sein Pseudonym, das er in einem angeblichen früheren Leben als Druide (keltischer Priester) getragen habe. Hier stoßen wir auf eine Besonderheit des Kardecismus: die Reinkarnationslehre, durch die er sich vom nordamerikanischen und von einem größeren Teil des europäischen Spiritismus unterscheidet. Zwischen den einzelnen Reinkarnationsphasen würden die Geister „unverkörpert“ existieren, der ganze Prozess habe die geistige Höherentwicklung zum Ziel. Kardec sammelte die Kundgaben verschiedener Medien und legte die so gewonnenen Erkenntnisse in seinen Büchern nieder. Seine dort entwickelte Religion enthält auch viele umgedeutete Bestandteile aus dem Christentum, so den Glauben an einen Schöpfergott, an Jesus als Wesen, das die eben erwähnte geistige Entwicklung vollständig durchlaufen habe und nun für die ganze Erde verantwortlich sei, an Himmel und Hölle (aus der nach vielen Reinkarnationen alle erlöst würden). Kardecs Lehre bekam in Europa großen Einfluss und verbreitete sich auch stark in Südamerika.
In Deutschland befassten sich mehr als in anderen Ländern auch Intellektuelle und Wissenschaftler mit dem Spiritismus, was freilich auch zu heftigen Kontroversen führte, da auch zahlreiche Kritiker wie etwa der Psychologe und Philosoph Wilhelm Wundt (1832-1920) auftraten. Für eine wissenschaftlicher Untersuchung zumindest eines Teils der spiritistischen Phänomene sprach sich der Philosoph Eduard von Hartmann (1842-1906) aus. Er wollte sie aber durch besondere Kräfte des Menschen erklären und steht damit mit Forschern vor
allem aus dem angelsächsischen Bereich, etwa dem Philosophen Henry Sidgwick (1838-1900), dem Physiker William Crookes (1832-19319) und dem Philosophen und Psychologen Wiliam James (1842-1930) am Beginn der später so bezeichneten Parapsychologie. Deren Forschungen zeigten, dass ein Teil der beim Spiritismus zu beobachtenden außergewöhnlichen Phänomene – bis hin zu Leviationen und vielleicht sogar Materialisationen – nicht zu leugnen sei. Die spiritistische Hypothese, zunächst auch in der Parapsychologie noch in Erwägung gezogen, verlor freilich schon damals an Bedeutung und man versuchte sich den Phänomenen durch ein erweitertes Verständnis der Natur, insbesondere des Zusammenhangs zwischen Psyche und Materie zu nähern.
Die spiritistischen Welle flaute seit den 1880er Jahren allmählich ab – auch weil zahlreiche von Medien inszenierte Betrügereien bekannt wurden, auch von Margaretta Fox, deren diesbezügliche Selbstbezichtigungen aber wohl nur zum Teil stimmen.
Heutiger Spiritismus
Praktischer Spiritismus
In der Folgezeit wurde Spiritismus vorwiegend in eher gehobenen gesellschaftlichen Schichten ausgeübt, und das setzt sich bis heute fort. Gruppen von Menschen treffen sich zu spiritistischen Sitzungen, um mit Geistern – vor allem von Verstorbenen – Kontakt aufzunehmen. Diese Form des Spiritismus ist im Allgemeinen nicht mit ausdrücklichen religiösen Vorstellungen verbunden; das bei den weiter unten besprochenen Praktiken unmittelbar Erlebte steht im Vordergrund. Diese waren vor allem in den 1980er und 1990er Jahren unter Jugendlichen stark verbreitet, Jugendliche zeigen auch heute daran Interesse, wobei dieses meist temporär bleibt und auf das spätere Leben keinen tieferen Einfluss hat.
Seit etwa den 1970er Jahren hat sich, ausgehend von den USA, weltweit das Channeling verbreitet, das in manchem an den Spiritismus anknüpft und als seine Popularisierung bezeichnet werden kann (vgl. dazu den entsprechenden Artikel von Stefan Lorger-Rauwolf in diesem Lexikon).
Offenbarungsspiritismus
Es gibt aber auch organisierte religiöse Gruppierungen, die sich auf von Gründerfiguren mediumistisch empfangene, angeblich von Geistern stammende Kundgaben, eben „Offenbarungen“, zurückführen. Obwohl in ihren Versammlungen auch mediumistische Praxis geübt wird, werden dabei ihre von ihren Ursprüngen her übernommenen Lehren nicht verändert. So beruft sich etwa die „Deutschen Spiritistische Vereinigung“ auf die Bücher Kardecs. An ihm ausgerichtete Vereine gibt es auch in Wien.
Feststehende Lehren haben auch die Bewegungen des „Geistchristentums“, die wie der Kardecismus spiritistische und christliche Elemente verbinden. Zu nennen sind hier die Anhänger des ehemaligen katholischen Priesters Johannes Greber (1844-1974). Wie Kardec ohne eigene mediumistischen Fähigkeiten verfasste dieser seine Schriften nach von Trance-Medien empfangenen Kundgaben, die nach seinem Zeugnis sehr beeindruckend waren.
Seine Lehre besteht einerseits aus vielen, auf spiritistischer Grundlage aufruhenden irrationalen Elementen; anderseits ist sie eine rationalistische Auflösung der zentralen christlichen Mysterien und hat eine stark kirchenkritische Ausrichtung. Zum Geistchristentum gehört auch die an dem Medium Beatrice Brunner (1910-1983) orientierte Geistige Loge Zürich. In manchen Gemeinden des Geistchristentums gibt es den sogenannten „Geschwisterdienst“, in dem „erdgebundenen“ Geistern von Verstorbenen die frohe Botschaft verkündet und für sie gebetet wird, und den „Geisterverkehr“, in dem durch Schreib- und Sprechmedien von Geistern kommende „Botschaften“ durchgegeben werden, die nachher geprüft werden müssen.
Auch die Gründerinnen von zwei Neuen Religiösen Bewegungen berufen sich auf mediumistische Erfahrungen. Gabriele Wittek vom „Universellen Leben“ und Erika Bertschinger-Eicke von „Fiat Lux“ wollen beide ihre Lehre von höheren Geistwesen, darunter auch von Christus empfangen haben.
Afroamerikanische Religionen mit spiritistischen Zügen
Im weiteren Sinn dem Spiritismus zuzurechnen sind auch die afroamerikanischen Besessenheitskulte. Zu ihnen gehört die in Brasilien, Argentinien und Uruguay seit etwa 1930 verbreitete Umbanda-Religion, in der afrikanische, indianische, katholische und spiritistische Elemente verschmolzen sind. In den Versammlungen manifestieren sich göttliche Geister, aber auch Geister indigener Ureinwohner und afrikanischer Sklaven der Vorzeit, dafür bedienen sie sich in Trance fallender Medien. Zu etwa derselben Zeit begann auch die Zahl der Anhänger des brasilianischen ähnlich synkretistischen Candomblé-Kultes zu wachsen, bei dem Gottwesen („Orixas“) von mediumistisch begabten Kultteilnehmern Besitz ergreifen. Beide Religionen sind vom in Brasilen eine wichtige Rolle spielenden Kardecismus beeinflusst, von dem sie sich aber auch stark abgesetzt haben.
Spiritistische Praktiken
Im Folgenden sollen einige beim heutigen praktischen Spiritismus verbreitete Praktiken vorgestellt werden:
Auf einem Ouija-Brett sind meist die Ziffern von 0 bis 9, die Buchstaben des Alphabets und die Worte „ja“ und „nein“ angeordnet, in der Mitte befindet sich ein drehbarer Zeiger, der von den Beteiligten an einer Sitzung – oder auch nur von einer Person – berührt wird. Der Zeiger kommt mit der Zeit „von selbst“ in Bewegung, und aus den Zeichen, die er berührt, ergeben sich Antworten auf Fragen. Beim Glasrücken wird ein umgestülptes Trinkglas zwischen die Buchstaben und Ziffern gestellt, zu denen das von den Anwesenden berührte Glas spontan wandert. Die Planchette ist ein Brett auf zwei Rollen und einem Schreibstift als drittem Standbein. Hier entsteht unter den Fingern der teilnehmenden Personen eine Schreibspur. Sehr verbreitet ist das Tischrücken: die Gruppe berührt gemeinsam einen leichten Tisch, der mit der Zeit in Bewegung kommt, für die Anwesenden ein Zeichen für das Wirken von Geistern. Die Bewegungen können auch als Antworten auf Fragen interpretiert werden.
Nicht selten spielt eine bestimmte Person einer spiritistischen Gruppe eine besondere Rolle. Die ganze Sache funktioniert nicht, wenn sie nicht anwesend ist. Sie vermittelt aus der Sicht der Gruppe den Kontakt zu den Geistern und wird oft als Medium bezeichnet
Bei solchen Praktiken setzen sich die verwendeten Instrumente meinst tatsächlich in Bewegung. Im Allgemeinen ist diese unspektakulär und liefert auch kaum wirklich brauchbare Ergebnisse, einzelne der an der Sitzung Beteiligten interpretieren allerdings aus ihren Erwartungen heraus oft Sinn in sie hinein. In manchen Gruppen können aber Zeiger, Glas oder Bleistift erstaunlich flüssig dahingleiten und dabei auch sinnvolle Antworten produzieren. Bisweilen korrespondieren diese so sehr mit Befürchtungen und Hoffnungen einer anwesenden Person, dass bei ihr Ängste oder Euphorie ausgelöst werden. Und es kann sogar vorkommen, dass Dinge aufs Tapet kommen, die z.B. nur eine oder einer der Teilnehmenden weiß, oder gar der ganzen Gruppe unbekannte Sachverhalte, die sich bestätigen lassen. Vielen Menschen drängt sich angesichts derartiger Vorkommnisse die Annahme, dass hier Geister am Werk sein müssten, förmlich auf. Dabei spielen freilich mitgebrachte Voraussetzungen mit: sie sind einerseits psychisch bedingt und bestehen in einer teilweise unbewussten magisch-mythischen Weltsicht; anderseits liegen sie oft auch in bereits angeeigneten Vorinformationen über den Spiritismus, aus denen heraus man schon auf Geister wartet.
Deutungen der Phänomene beim Spiritismus
Durch Betrug
In spiritistischen Sitzung mag es tausendfach vorkommen, dass die verwendeten Geräte manipuliert,, also bewusst gesteuert werden, da es hier ja keine Kontrollen gibt. Betrug begleitet auch bei spektakulären Phänomenen die gesamte Geschichte des Spiritismus. Fast allen berühmten Medien, durch die es unter streng kontrollierten Bedingungen tatsächlich zu unerklärlichen Phänomenen gekommen ist, wurden auch Manipulationen und Tricks nachgewiesen. Trotzdem würde man es sich zu einfach machen, wollte man Spiritismus grundsätzlich auf diese Weise erklären.
Durch bestimmte seelische Dynamiken
Die beobachtbaren Effekte gehen nicht immer auf Betrug zurück, Glas, Zeiger oder Stift können sich wirklich in dem Sinn „von selbst“ bewegen, dass sie nicht von jemandem heimlich geschoben werden. Freilich wird auch in diesem Fall die Bewegung von einer teilnehmenden Person verursacht, dies geschieht allerdings nicht bewusst sondern wird durch unbewusste Impulse ausgelöst. Der harmloseste und häufigste Grund dafür ist der sog. Carpenter-Effekt. Dieser besteht darin, dass die Vorstellung einer bestimmten Bewegung in Ansätzen zu deren unbewusster Umsetzung führen kann. So kann es relativ leicht zu Antworten auf Ja-Nein-Fragen kommen, die auf entsprechende Vorstellungen einer an der Sitzung eilnehmenden Person zurückgehen können.
Es kommen aber auch eindrücklichere Phänomene vor. Dafür muss es in der Gruppe eine Person geben, die zu einer bestimmten Form der Abspaltung von Bewusstseinsinhalten ins
Unbewusste, sog. Dissoziationen, neigt, was übrigens nicht von Vornherein pathologisch interpretiert werden sollte. Solche Personen nehmen dann meinst die Rolle von Medien ein.In der Atmosphäre einer spiritistischen Sitzung kann bei psychisch derart strukturierten Menschen ein leichter Trance-Zustand entstehen, in dem dissoziierte psychische Impulse das verwendete Gerät durch unbewusste Bewegungen steuern. Dabei kann es zu Antworten
kommen, in denen das Medium bewusste und vor allem unbewusste Fantasien objektiviert, die sich auf die Anwesenden beziehen – vor allem auf das, was sie wünschen und befürchten könnten. Wenn das sehr treffend ist, kann es dann bei ihnen, wir oben gesagt, zu Euphorie oder Angst kommen. Für sie stammen ja die Botschaften von Geistern und haben deswegen von vornherein eine gewisse Autorität.
Diese tiefenpsychologische Deutung macht sowohl einen Teil der Phänomene des Spiritismus verständlich als auch die Anziehungskraft, die er auf viele ausübt.
Durch paranormale Vorgänge
Manchmal können bei spiritistischen Sitzungen an die eben genannten unbewussten psychischen Vorgänge anschließende und über sie hinausgehende paranormale Vorgänge auftreten. Es kann Telepathie vorkommen, die unmittelbare, „außersinnliche“ Erfassung von Bewusstseinsinhalten anderer; oder Hellsehen, die Erkenntnis von auf normalem Weg nicht bekannten Sachverhalte. Dass es solche Phänomene gibt, kann heute durch die Parapsychologie als nachgewiesen gelten und nicht mehr wirklich bezweifelt werden; die von ihr dafür angebotenen unterschiedlichen Verstehensmodelle können freilich nur teilweise befriedigen.
Die Parapsychologie bezeichnet als „Medium“ anders als die geistergläubigen Spiritisten eine Person, die derartige paranormale Phänomene generieren kann. Diese Person tritt also nicht mit Geistern Verstorbener in Kontakt, sondern ihr werden durch Telepathie sich auf Verstobene beziehende Vorstellungen und Erinnerungen Anwesender oder sogar Abwesender bewusst; oder sie gewinnt durch Hellsehen Eindrücke von Gegenständen von Verstorbenen, etwa dem Ort, an dem sich ein Testament befindet. Diese paranormalen Wahrnehmungen werden dann, wiederum durch unbewusste Steuerung, auf das Gerät übertragen. Im gewöhnlichen praktischen Spiritismus sind solche Dinge zwar selten, aber sie kommen vor – dabei gibt es kein Kriterium, durch das man eine von einem Medium paranormal erfasste Information von dessen auf seinen inneren Fantasien beruhenden Aussagen unterscheiden könnte.
Es ist nachvollziehbar, dass paranormale Phänomene den Spiritismus für die Menschen, die ihm anhängen, noch faszinierender machen. Woher sollen derart unerklärliche Informationen sonst kommen als von Geistern? Es ist auch nicht unverständlich, dass die spiritistische Erklärung durch Geister vielen Menschen plausibler erscheint als die unanschaulichen und unfertigen parapsychologischen Hypothesen. Trotzdem sind diese der einzige Weg, sich den Phänomenen sachlich zu nähern und durch sie keine weltanschaulichen Überzeugungen zu stützen, die sie nicht tragen können.
Stellungnahme
Weltanschaulich ist der Spiritismus deswegen problematisch, weil seine Grundoption bezüglich der Möglichkeit von Kontakten mit Geistern unbegründet ist. Je fester jemand daran glaubt, desto mehr kann er durch spiritistische Praktiken, vor allem wenn sie eindrucksvoll scheinen, in Abhängigkeit von den vermeintlichen Geisterbotschaften geraten.
Diese sind oft inhaltlich und psychohygienisch fragwürdig, und die betroffene Person kann dadurch in eine psychisch prekäre Situation geraten. Spezielle Gefahren bestehen für Menschen, die zu den oben beschriebenen Dissoziationen neigen. Diese haben die Tendenz, sich mehr und mehr verselbständigen und können zu einer Belastung werden – im Extremfall in Form des Hörens innerer Stimmen, die man nicht mehr los wird.
Spiritismus tut also vielen Menschen nicht gut. Es ist freilich keine hilfreiche Antwort, wenn von fundamentalistischen oder von traditionalistischen Christen gesagt wird, das komme daher, dass man beim Spiritismus nur vermeintlich in Kontakt mit Geistern Verstorbener, in Wahrheit aber mit Dämonen in Kontakt komme. Es stimmt zwar, dass mancher seelisch desorientierte Mensch durch das Sich-Einlassen auf von solchen Kreisen angebotene Befreiungsrituale Erleichterung erfahren hat, aber das geschieht um den Preis der Abhängigkeit von der der jeweiligen Gruppierung und ihrer rigiden Lehre. Vom Spiritismus irritierte Menschen brauchen Aufklärung über das, was hinter den Phänomenen steckt und im Fall quälender Dissoziationserscheinungen Psychotherapie, durch die man zumindest lernen kann, mit ihnen umzugehen.
Literatur
Primärquellen
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Deutsche Spiritistische Vereinigung: https://www.spiritismus-dsv.de/
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Verein für spiritistische Studien Allan Kardec: https://www.allankardec.at/?lang=de
Sekundärquellen
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Geistchristentum: https://de.wikipedia.org/wki/Geistchristentum
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