Marienerscheinungen
Marienerscheinungen
Offiziell bloß Privatoffenbarungen…
…aber nicht selten mit hohem gesamtkirchlichen Anspruch
Offiziell dem Glauben nachgeordnet…
… aber subjektiv von vielen als Glaubensfundament erlebt
Separationstendenzen bei manchen Anhängern von Erscheinungen
Apokalyptische Momente in den Erscheinungsbotschaften
Was ist zu tun? Einbeziehung der Parapsychologie
Was ist zu tun? Theologische Klärung
Was ist zu tun? Dialog und Abgrenzung
Offiziell bloß Privatoffenbarungen…
Die katholische Kirche zählt Marienerscheinungen zu den Privatoffenbarungen. Das bedeutet, dass sie sich nicht mit letzter Gewissheit für die Echtheit dieser Erscheinungen und die Wahrheit ihrer Botschaften verbürgt. Das gilt auch dann, wenn sie kirchlich anerkannt sind und teilweise – wie z. B. die Erscheinungen von Lourdes und Fatima – durch eigene liturgische Gedenktage gefeiert werden. Die Anerkennung bedeutet, dass die Botschaften der Erscheinungen keine Widersprüche zur kirchlichen Lehre enthalten und dass das Zeugnis der Seherinnen und Seher menschlich glaubwürdig ist. In diesen Fällen gelten die Geschehnisse mit hoher Wahrscheinlichkeit als von Gott in besonderer Weise auf die Menschen hin gewirkt. Es wird ihnen also aus ein „übernatürlicher“ Ursprung zugesprochen. Dafür besteht aber auch durch die kirchliche Anerkennung keine letzte Garantie. Jemand kann gute Gründe haben, diese Einschätzung nicht zu teilen, ohne sich deswegen aus dem Raum des kirchlich Zulässigen zu entfernen. Auch das positive Urteil darüber, dass die Inhalte der Botschaften einer Erscheinung mit der kirchlichen Lehre vereinbar sind, ist nicht unfehlbar und deswegen kritisierbar.
…aber nicht selten mit hohem gesamtkirchlichen Anspruch
Die offizielle kirchliche Sicht des Stellenwerts von Marienerscheinungen ist also eher zurückhaltend. Das steht freilich in einer mehr oder minder großen Spannung zu dem, was Seherinnen und Seher über die Erscheinungen bezeugen. So wenden sich etwa die Botschaften von Fatima an die ganze Kirche: Überall sollten bestimmte Andachtsformen gepflegt werden, um dadurch Seelen vor der Hölle zu retten; der Papst solle Russland an das unbefleckte Herz Marias weihen; wenn das nicht geschehe, werde Russland seine Irrtümer über die Welt verbreiten und ein neuer Krieg über die Welt kommen. Die Sprache der Erscheinung, die sich selbst als Maria vorstellt, ist dabei geprägt von selbstverständlicher, keinen Zweifel duldender Autorität, die die ganze Kirche auf ihre Botschaft verpflichten will. Ein derartiger Universalanspruch ist nicht etwa eine Ausnahme sondern eher die Regel in den Botschaften von Marienerscheinungen. Dafür, dass sich dazu jemand kritisch äußern könnte, bleibt kein Raum.
Offiziell dem Glauben nachgeordnet…
Als Privatoffenbarung ist eine Marienerscheinung grundsätzlich der von der Kirche verkündigten öffentlichen Offenbarung in Jesus Christus nachgeordnet. Sie kann zwar für den Glauben eine – für viele Menschen entscheidende – Hilfe sein. Er vermag sich etwa an einem Erscheinungsort durch die Präsenz der dort überlieferten Geschehnisse von Erscheinungen Marias zu entzünden oder neu zu verlebendigen. Es ist aber eine Engführung, wenn der Glaube dabei stehen bleibt und sich vor allem auf Erscheinungen stützt; voll entfaltet schöpft er seinen zentralen Inhalt und auch seine Gewissheit aus der in Jesus, seinem Leben, seinem Tod und seiner Auferstehung ergangenen Botschaft Gottes an die Menschen.
… aber subjektiv von vielen als Glaubensfundament erlebt
Subjektiv erleben das manche Menschen aber anders. Für sie sind Erscheinungen eine Art „handfester“ Glaubensbeweis, der für ihre persönliche Glaubensüberzeugung wichtiger ist als die „gewöhnliche“ Glaubenserfahrung. Den Betroffenen ist das oft gar nicht voll bewusst, aber gerade dann ertragen Menschen nur schwer, wenn sie mit Kritik oder gar Ablehnung dieses ihres Glaubensfundaments konfrontiert werden.
Separationstendenzen bei manchen Anhängern von Erscheinungen
So gibt es also einen subjektiven und einen objektiven Grund, die es dann auch erschweren können, dass sich Menschen, die intensiv an Marienerscheinungen glauben, in das Leben einer Pfarre einordnen. Der objektive liegt im – gar nicht „privaten“ sondern – gesamtkirchlichen und gesamtmenschheitlichen Gewicht, das sich die Botschaften vieler Erscheinungen selbst geben – Medjugorje ist diesbezüglich etwas zurückhaltender als Fatima. Der subjektive besteht im der besonderen psychologischen Bedeutung, die Erscheinungen für manche Menschen haben – hier ist Medjugorje derzeit aktueller als Fatima. Beides zusammen kann dazu führen, dass die Anhänger der Erscheinungen denen, für die solche Phänomene keine oder keine zentrale Bedeutung haben, Unglauben vorwerfen und sich im Besitz eines grundsätzlich tieferen und gültigeren Glaubens fühlen als jene. So kann es aber zur Bildung informeller Sondergruppen kommen, die das Klima einer Pfarre stark belasten können.
Apokalyptische Momente in den Erscheinungsbotschaften
Die Probleme werden nach der objektiven und der subjektiven Seite verschärft, wenn die Botschaften apokalyptische Züge tragen wie manche kirchlich nicht anerkannte Erscheinungen. In diesem Zusammenhang sei ein Text erwähnt, der lange Zeit als „drittes Geheimnis von Fatima“ galt und dessen Herkunft nicht geklärt ist. Er sagte noch für das 20. Jahrhundert eine große Züchtigung der Menschheit durch Krieg mit neuen furchtbaren Waffen und durch Naturkatastrophen voraus und kündigte schlimme Missstände in der Kirche bis in ihre höchsten Spitzen an. Das im Jahr 2000 publizierte offizielle dritte Fatima-Geheimnis schlägt keine so krassen Töne an und besteht und in einer nicht ganz leicht zu interpretierenden Vision. Es wird von manchen Kreisen für eine Fälschung und das früher kursierende für echt gehalten – dass der ursprüngliche Termin für das angekündigte Strafgericht nun bereits vorbei sei, wird als Gewährung einer letzten Gnadenfrist erklärt, es werde nun erst nach 2000 eintreten.
Diese und andere marianisch-apokalyptische Botschaften enthalten eine grundsätzliche Kritik an modernen Entwicklungen in Kirche und Welt. Sie gelten beide als mehr oder weniger hoffnungslos verdorben und nicht mehr heilbar; das korrespondiert mit der Mentalität ihrer Anhänger, die an diesen Entwicklungen massives Unbehagen haben oder an ihnen verzweifeln. So kommt es bei diesen Gläubigen nicht selten zu einer extrem kirchenkritischen Haltung. Gleichzeitig bedeuten die Botschaften für sie aber die fundamentale Stütze ihres Glaubens. Kritik daran bedeutet dann eine radikale Bedrohung ihrer religiösen Existenz, auf die sie nur mit aggressivem Fanatismus und manchmal ans Paranoide grenzenden Argumenten reagieren können.
Was ist zu tun? Einbeziehung der Parapsychologie
Eine wichtige und bisher vernachlässigte Rolle in der Beurteilung von Marienerscheinungen kommt meiner Meinung nach der Parapsychologie zu. Sie vermag uns zu zeigen, dass nicht jedes Phänomen, das naturwissenschaftlich nicht eingeordnet werden kann, sofort als „übernatürlich“ bzw. als Wunder gesehen– oder als Täuschung oder Betrug wegerklärt – werden sollte. Die Parapsychologie hat vielmehr wahrscheinlich gemacht, dass mit hintergründigen, gleichwohl natürlichen, materiell-geistigen Zusammenhängen zu rechnen ist. Ich denke etwa an das auf die Sekunde gleichzeitige In-Trance-Fallen mehrerer Personen (Medjugorje), an Zukunftsvoraussagen (Fatima) oder an medizinisch unerklärbare Heilungen, die es sogar an eher zweifelhaften Erscheinungsorten gibt. Der Forschungsstand der Parapsychologie erlaubt hier sicher meist keine definitiven Urteile, aber er mahnt zumindest zur Vorsicht.
Was ist zu tun? Theologische Klärung
Für die Theologie sehe ich als Aufgabe die Klärung des oben genannten Missverhältnisses zwischen dem restriktiven kirchlichen Verständnis einer Privatoffenbarung und deren hohen Anspruch. Etwa am Beispiel Fatima: Die Erscheinungen sind zwar anerkannt. Dadurch scheint sich die Kirche dem hohen Anspruch der Botschaften, an denen Wohl und Wehe von Welt und Kirche hängen soll, zu unterstellen. Nun bleibt aber der einzelne in seinem Urteil letztlich doch frei. Also wird der Anspruch gleich wieder relativiert. Diese grundsätzliche Schwierigkeit kann in diesem Rahmen nicht diskutiert werden. Nur so viel: Die kirchliche Anerkennung kann wohl nicht bedeuten, dass die betreffende Privatoffenbarung nicht zeitbedingte und theologisch sehr fragwürdige Elemente in sich bergen kann. Das Urteil, ihre Botschaft widerspreche nicht der christlichen Tradition, kann sich nur auf ihren Kern beziehen, nicht aber auf die manchmal höchst problematischen Einzelheiten. So kann leichter festgehalten werden, dass etwa die Botschaft von Fatima im Wesentlichen ein ernster Aufruf zur Umkehr und zum Gebet für die von Gott abgewandten Menschen ist, ohne dass damit die zeitbedingten Glaubensauffassungen und bestimmte Frömmigkeitsformen als für alle heilsnotwendig erklärt werden.
Was ist zu tun? Dialog und Abgrenzung
Auf dieser Grundlage kann dann auch das Gespräch mit denen versucht werden, die Marienerscheinungen in ihrem religiösen Leben überbewerten. Wenn solche Menschen nicht zum Fundamentalismus oder gar Fanatismus neigen, wird ein Dialog, in dem ihre persönliche Erfahrung – die ihnen etwa in Medjugorje zuteilwurde – nicht weggeredet werden darf, nicht allzu schwer sein. In den genannten anderen Fällen wird er im Allgemeinen nur zu Kompromissen führen können, weil der psychologische Hintergrund der Betroffenen ihnen sehr erschwert, ihre Sicht der Dinge wirklich in Frage zu stellen. Selbst eine respektvolle Toleranz Andersdenkender, die sie ja für in einem die für sie selbst gleichsam sonnenklar feststehenden Punkt für verstockt ungläubig halten, wird ihnen nur schwer möglich sein. Solange es geht, wird man ihnen mit „einseitiger“ Toleranz zu begegnen suchen. Nicht selten wird freilich auch eine eindeutige Grenzziehung notwendig sein.
Literatur
H. Bender: Drittes Weltgeschehen und Endzeit, in: Zukunftsvisionen, Kriegsprophezeiungen, Sterbeerlebnisse, München: Piper 1983 (= Aufsätze zur Parapsychologie 2, Serie Piper 246), 85 – 121, bes. 103 – 110;
Die Botschaft von Fatima, hrsg. von der Kongregation für die Glaubenslehre, Bonn: Sekretariat der deutschen Bischofskonferenz 2000 (= Verlautbarungen des apostolischen Stuhls 147);
L.G. da Fonseca: Maria spricht zur Welt, Freiburg, Schweiz: Paulus-Verlag 191988;
F. Hanauer: Muttergottes-Erscheinungen, Aachen: Fischer 1995;
B. Harder: Medjugorje, München: Pattloch 2005;
M. Hauf: Marienerscheinungen, Düsseldorf: Patmos 2006;
G. Hierzenberger / O. Nedomansky: Erscheinungen der Gottesmutter Maria, Augsburg: Weltbild 2010;
R. Laurentin: Das Geschehen von Medjugorje, Graz: Styria 1985;
Privatoffenbarungen. La Salette – Marpingen – Amsterdam – Medjugorje – Schio – Kurešček, Manduria – Agnes Ritter, Wien 2009 (= Werkmappe Sekten, religiöse Sondergemeinschaften, Weltanschauungen 95);
K. Rahner: Visionen und Prophezeiungen, Freiburg, Breisgau: Herder 1989;
A. Resch: Die Seher von Medjugorje im Griff der Wissenschaft, Innsbruck: Resch 2005;
G.N.M. Tyrrell: Erscheinungen und Visionen im PSI-Feld, Olten: Walter 1979.
Bernhard Wenisch, 2020