Gott
Das christliche Gottesbild
Zum Gottesbild neureligiöser Gruppen
Das christliche Gottesbild
Der christliche Glaube deutet mit dem Wort Gott auf seine Herzmitte: den persönlichen Schöpfer des Alls, allem, was ist, absolut transzendent und gleichzeitig als Quelle des Seins zuinnerst nahe. Dem Menschen ist er in dessen Geschichte in wachsender Intensität begegnet als Ursprung, Sinn und Ziel seiner Existenz, bleibt dabei aber für menschliches Denken unbegreifliches Geheimnis.
Altes Testament
Erste Quelle für diesen Glauben ist das Alte Testament. Aufbauend auf älteren Traditionen erfuhr Israel seine durch religiöse Führer und Propheten gedeutete Geschichte als Manifestation der rettenden und richtenden Gegenwart seines heiligen, gerechten und barmherzigen Gottes, der eifernd darauf achtet, dass das Volk sich an keinen anderen Gott als an ihn bindet. Israel tat auch den Schritt zur Glaubenseinsicht, dass der von ihm erfahrene Gott der einzige Gott ist, der die Geschichte aller Völker lenkt, ja mehr noch, Herr und Schöpfer des Himmels und der Erde ist.
Neues Testament
In diesem Glauben stehend, brachte Jesus Gott entscheidend neu zur Sprache. Das durch ihn verkündete, in Gleichnissen erschlossene und durch Wunder erfahrbare Gottesreich bedeutet Heilung, Vergebung und neue Lebenspraxis radikal solidarischer Ethik. Das alles wird ermöglicht durch Gott selbst. Seiner war sich Jesus in einzigartiger Weise als seines Vaters inne; dessen definitive heilvolle Präsenz vermittelte er, der Sohn. Durch seinen Tod geriet sein Anspruch in eine Krise, wurde aber durch seine Auferstehung bestätigt. Sie ermöglichte die endgültige Interpretation von Jesu Sendung und Person: Gott geht in seiner Zuwendung zu den Menschen bis zum Äußersten: Er duldet, dass sein Sohn gewaltsam umkommt, und dieser nimmt sein tödliches Ende auf sich; gerade hierin zeigt sich Gottes Liebe und ruft jeden Menschen zum Glauben, der zum ewigen Leben führt (vgl. Joh 3,16).
Trinität
Jesus trat einerseits selbst in göttlicher Hoheit auf, anderseits erfuhr er Gott als Gegenüber – also muss es in Gott selbst eine personale Differenz geben. Gott der Vater existiert von Ewigkeit her relativ zu einem Du (Joh 17, 5), seinem „Wort“, das in Jesus Mensch wurde (Joh 1, 14; vgl. auch Phil 2, 6f). Vom Heiligen Geist gilt analog: Er wird von den Menschen als göttlich-personale Macht erlebt, die sie mit Gott verbindet (vgl. Röm 8, 26f, Joh 16, 4–15).
Aus diesen christlichen Grunderfahrungen entwickelte sich die Lehre von Gottes Drei-Einheit als Versuch, von ihnen aus auf Gottes Wesen zu blicken: Wie muss Gott selbst sein, wenn er sich uns auf diese Weise zeigt? Die Trinitätslehre umschreibt ein Mysterium, das gleichwohl Licht auf letzte Sinnzusammenhänge wirft: Gott, in einem absolute Einheit und liebender Beziehungsaustausch, ist Ziel und Urbild jener Liebe, zu der die Menschen gerufen sind.
Philosophische Voraussetzungen des Gottesglaubens
Aus der Sicht der katholischen Kirche und Theologie ist Gott als Schöpfer der Welt durch philosophisches Bemühen bereits vorgängig zum Glauben erkennbar, sonst würde der Glaube von etwas dem Denken des Menschen völlig Fremdem reden. Auch das Gespräch mit dem Atheismus ist auf dieser philosophischen Ebene zu führen. Es ist freilich nicht leicht, von der traditionellen christlichen Philosophie angebotene Denkwege zu Gott in Beziehung zur zeitgenössischen Philosophie zu setzen oder von ihr ausgehend neue zu versuchen.. Umso mehr bleibt diese Anstrengung des Begriffes, kritisch sowohl der eigenen Tradition als auch modernen Grundoptionen gegenüber, notwendig.
Zum Gottesbild neureligiöser Gruppen
Autoritäre Verengungen bleibend christlicher Substanz – auch in den großen Kirchen
Manche ideologische Engführungen im Christentum wirken auf das Gottesbild zurück: Gott wird nämlich als deren Legitimationsinstanz verstanden; er selbst schärft sie den Menschen ein und ahndet streng jede Abweichung. Dadurch bekommt das Gottesbild autoritäre Züge. So begründen etwa der protestantisch-biblische und der katholisch-traditionalistische Fundamentalismus ihr – teilweise ins Zwanghafte gehendes – enges Verständnis von Schrift bzw. Überlieferung in der unvermittelt hinter den Glaubensquellen stehenden göttlichen Autorität. Christliche Sondergemeinschaften betonen ähnlich zwanghaft angeblich direkt offenbarte Einzelheiten: so z. B. die Siebenten-Tags-Adventisten den Sabbat oder die Neuapostolische Kirche die Machtfülle des Stammapostels.
In den großen Kirchen legten und legen mehr oder weniger einflussreichen Gruppen immer wieder einseitig starkes Gewicht auf Autorität oder strenge moralische Forderungen. Sie gelten als unmittelbar von Gott garantiert oder gefordert. Moralischer das Gottesbild autoritär verdüsternder Rigorismus und damit verbundene Höllendrohungen sind im Übrigen in der ganzen Christenheit lebendig.
Nichttrinitarischer Theismus
Bei den hier zu nennenden Gruppierungen wird Gott persönlich, aber nicht trinitarisch gedacht.
Ausgangspunkt der Unitarier war das biblisch inspirierte Bild des dem Menschen zugewandten Gottes. dessen Geist, verstanden als unpersönliche Kraft, den Menschen Jesus in höchstem Maß erfüllte. Später näherten sie sich teilweise dem Deismus an, wonach Gott die Welt zwar erschaffen hat, aber nachher nicht mehr in ihr wirkt; andere Gruppen entwickelten monistische (s. u.) Konzeptionen. Nichttrinitarischer Theismus findet sich auch in der Neuen Kirche Swedenborgs und in der Lorber-Bewegung. Für beide ist in Jesus der einpersönliche Gott selbst in die Schöpfung eingegangen, Konkret heißt das, dass Gott der Vater dem Menschen Jesus ganz nahe war, in seinem Innersten wohnte, eine Vorstellung, die sich mit dem im vierten Jahrhundert verurteilten Nestorianismus berührt.
Die schiitisch geprägte Gottesvorstellung der Baha’i-Religion steht durch ihre Betonung der göttlichen Liebe atmosphärisch dem Christentum nahe, ebenso auch der aus der hinduistischen Bhakti-Frömmigkeit kommende Glaube der Krishna-Bewegung an Krishna, den unbedingt vertrauenswürdigen Gott der Gnade; hier wird das allerdings vor allem durch die autoritäre Gruppenstruktur stark konterkariert.
Trotz der Nähe mancher seiner Formen zum christlichen Gottesbild vermag der nichttrinitarische Theismus die hingebende Liebe Gottes in Jesus nicht in voller Radikalität zu denken, weil er das ewige Du, das dem Vaters gegenübersteht und sich in diesem Menschen persönlich engagiert, nicht kennt. Außerdem kann er den als (ein-)persönlich gedachten Gott nicht wirklich in sich selbst als Liebe verstehen, da Liebe nur als Beziehungsgeschehen existieren kann.
Vorstellungen von Gott ohne Transzendenz
Schon die in den beiden vorigen Unterabschnitten genannten Gottesbilder denken Transzendenz und Absolutheit Gottes in abgeschwächter Weise, manche Neureligionen konzipieren Gott überhaupt nach Art des Endlichen.
Der anthropomorph und geheimnislos gedachte Gott der Zeugen Jehovas lenkt die Schöpfung vom räumlich vorgestellten Himmel aus monarchisch durch seinen Geist, eine Art energetisches Fluidum. Jesus gilt – analog zur Sicht der im 4. Jahrhundert verurteilten arianischen Lehre –als Mensch gewordener Engelfürst.
Der dem Gesetz der Polarität unterworfene Gott der Mun-Bewegung ist auf den von ihm geschaffenen Menschen als sein weibliches Gegenüber angewiesen. Sein vom Satan durchkreuztes Verlangen nach persönlichem Austausch mit dem Menschen wird durch Mun erfüllt. Gott ist hier völlig in den taoistisch konzipierten Lauf der Welt hineinverwickelt.
Nach der Lehre der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage (Mormonen) stammen aus Gott und einer himmlischen Mutter alle sonstigen Gott- und Geistwesen einschließlich der Menschen physisch ab und müssen sich zu seiner Höhe entwickeln: ein System mit polytheistischen Zügen.
Dualismus
Der strenge – z. B. manichäische – Dualismus, nach dem das Universum in zwei gegensätzlichen Prinzipien, einem guten und einem bösen, gründet, spielt in der heutigen religiösen Landschaft keine große Rolle, wohl aber ein abgeschwächter. Ein Beispiel dafür ist die Tendenz, die Macht Satans übersteigert oder gar als notwendigen Gegenpol zur Güte Gottes zu verstehen, was von der Mun-Bewegung vertreten wird aber bisweilen auch in christlichen Kirchen und Sondergruppen anklingt. Letztere neigen manchmal auch dazu, die
Materie abzuwerten; das ist dann zunächst ein kosmologischer Dualismus, geht aber insofern darüber hinaus, als dadurch die Materie zu etwas Gott grundsätzlich Entgegengesetztem wird. Auch manche monistische Bewegungen sehen die Materie prinzipiell negativ (s. u.).
Monismus
Der Monismus lehrt die Identität zwischen dem allumfassend-bestimmungslos-unpersönlichen Absoluten und dem Endlichen. Letzterem kommt keine Eigenwirklichkeit zu. Es ist nur Erscheinung oder Ausfaltung des ersteren und wird wieder in ihm aufgehen.
Zunächst werden einige Gruppen genannt, die auf der hinduistischen Advaita (= „Nichtzweiheit“)-Lehre beruhen: Die Transzendentale Meditation will durch Mantra-Meditation die Einheit des Individuums mit dem All erreichen. Die aus dem Sikhismus entstandene Sant-Mat-Bewegung lehrt die Erfahrung des Weltgrunds als eines göttlichen Licht- und Klangstroms, der aus dem Absoluten entströmt und wieder dorthin zurückkehrt. Der stark westlich geprägte Rajneeshismus (Bhagwan-Bewegung) empfiehlt Selbsterfahrung in verschiedenster Form, darunter auch freie Sexualität; die dabei frei werdender Energien sollen ins Spirituelle transformiert werden bis zur Aufhebung des Ichs im absoluten kosmischen Tanz – ein Monismus mit dionysischem Zug. Geradezu göttlich verehrt wird in derartigen Bewegungen oft der Guru, die für den spirituellen Weg des einzelnen unentbehrliche Verkörperung des Absoluten, dessen Avatar (=Abstieg).
Für die im Abendland entstandene, hinduistisch mitgeprägte Theosophie ist das Endliche als Emanation (=Ausfluss) einzelner Aspekte des Absoluten von diesem nur scheinbar getrennt. Ziel des Menschen ist die Erfahrung seines göttlichen Wesenkerns und darin der Einheit aller Dinge. Das Universelle Leben lehrt einen Monismus mit polytheistischem Einschlag: Der allesdurchdringende unpersönliche Gott habe den persönlichen „Gott Vater“ erschaffen, der einen Sohn, „Christus“ hervorgebracht habe. Gott Vater habe in Satan sein weibliches Gegenstück entstehen lassen, aus dessen Rebellion gegen Gott der Mensch hervorgegangen sei. Dieser solle durch Christus zur Einheit mit dem unpersönlichen Gott gelangen, in dem er aber nicht aufgehe. Analog scheinen auch nach der Lehre der Anthroposophie die aus der geistigen Urwesenheit emanierten geistigen und göttlichen Wesen und auch die Menschen letztendlich ihre Individualität zu behalten.
Von vielen dieser Bewegungen wird die Materie in mehr oder weniger dualistischer Weise negativ gesehen, als Prinzip der Vereinzelung oder als Hindernis für die Vereinigung von Wesen mit dem All-Einen.
Moderne Gruppen, die esoterische Traditionen mit naturwissenschaftlichen Theorien verbinden wollen, sprechen oft von einer Energie, die den Urgrund-Urstoff des Kosmos bildet; in ihr ist alles eins, Materie und Geist sind nur verschiedene Formen ihrer Verdichtung. So verfließen alle Unterschiede und werden letztlich aufgehoben: die innerweltlichen zwischen den Seinsstufen und zwischen den Einzelwesen ebenso wie die Differenz zwischen Endlichem und Absolutem.
Im Gespräch mit dem Monismus geht es zentral um die Wertung der Person: Er sieht sie negativ als zu überwindende Begrenzung; sie ist aber als Subjekt von Erkenntnis, Freiheit und Liebe etwas Positives, ja sogar Absolutes, wenn auch in endlicher Gestalt. Deswegen muss
auch der Grund des Alls Person sein, wenn auch verglichen mit unserer menschlichen Personalität in analoger Weise. Die Vollendung ist dann nicht das Aufgehen der endlichen Personen im Absoluten, sondern ihre Beziehungseinheit mit ihm und miteinander. Der „Überfluss“ der Schöpfung verschwindet nicht wieder, sondern nimmt teil an Gottes innerem – trinitarischem – Leben.
Literatur
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Evangelische Informationsstelle Kirchen – Sekten –Religionen (Hg.), Relinfo: http://www.relinfo.ch/;
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K. Hutten, Seher, Grübler, Enthusiasten, Stuttgart 151997;
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C. B. Papali, Exkurs zum Konzilstext über den Hinduismus, in: Das Zweite Vatikanische Konzil II, Freiburg i. Breisgau 1967, 478–482;
M. Pöhlmann / C. Jahn (Hg.) Handbuch Weltanschauungen, religiöse Gemeinschaften, Freikirchen, Gütersloh 2015;
G. Sams, Philosophische Gotteslehre, Stuttgart 2018;
H.-J. Sander, Einführung in die Gotteslehre, Darmstadt 2006;
G. Schmid / G. O. Schmid (Hg.), Kirchen, Sekten, Religionen, Zürich 72003;
J. Sudbrack, Neue Religiosität, Mainz 41990;
H. Tetens, Gott denken (= Reclams Universalbibliothek 19295), Ditzingen 62015;
M. Thomas, Christus im neuen Indien, Göttingen 1989;
H. Vorgrimler, Gott, in Neues Theologisches Wörterbuch online: https://theologie_de.deacademic.com/291/Gott, 2012 (abgefragt: August 2020);
J. Werbick, Kleine Gotteslehre im Dialog mit Papst Franziskus, Freiburg i. Breisgau 2018.
Bernhard Wenisch, 2020